Sonntag, 21. Oktober 2012

Licht (Jürgen Weber)

Das Licht
Licht - Dieses Thema entwickelte sich zu meinem anspruchsvollsten und heikelsten Projekt meiner ganzen bisherigen Fotografenzeit. Sind wir doch mal ehrlich, wer möchte gerne mit den Themen Alter, Tod, Selbstmord, Altersheim konfrontiert werden?
Die Idee zu meinem Bild war schnell geboren. Doch wo finde ich eine Person die sich als Model zur Verfügung stellt? Wie spreche ich die Person an? 'Hallo, ich bin Fotograf und möchte mit Ihnen eine Sterbeszene aufnehmen'??? Ich rechnete mir keine großen Chancen aus, meine Idee in die Realität umzusetzen. Mir fiel aber ein, dass ich eine ferne Bekannte hatte, die in einem Seniorenheim arbeitet. Ich nahm Kontakt mit ihr auf und erklärte ihr meinen Plan. Sie erzählte mir, dass sie überwiegend mit an Demenz erkrankten Personen arbeitet. Das kam für mich garnicht in Frage. Ich suchte eine Person, der ich meine Idee vermitteln konnte und die auch bei vollem Bewußtsein hinter meinem Projekt stand. Einige Tage später rief mich meine Bekannte an, Sie hatte eine rüstige Rentnerin gefunden, die geistig kerngesund und bereit war, mich bei meinem Projekt zu unterstützen. Mein erster Kennenlernbesuch war zu Beginn ein kleiner Schock für mich. Ich trat ein in eine für mich völlig unbekannte Umgebung. In den Aufenthaltsräumen saßen viele alte Menschen, die in ihrer eigenen Welt lebten. Sie prabbelten  oder schimpften vor sich hin. Menschen, die unseren Respekt verdienen!
Sie alle waren einmal ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Doch das Thema Altern ist in unserer schnellebigen, modernen Welt tabu. Viele Senioren, so berichtet mir eine Pflegerin, werden von Ihren Angehörigen garnicht mehr besucht....
Ich traf nun die Frau, die bereit war bei meinem Projekt mitzumachen. Wir unterhielten uns viele Stunden. Sie erzählte mir ihre Lebensgeschichte. Von ihrem Bruder, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Von ihrem Berufsleben. Sie hatte eine leitende Position und hatte ihr Leben lang in einen Firmen-Rentenfond eingezahlt. Nach einer Fusion der Firma, so berichtete sie mir, war der größte Teil ihres Rentenanspruchs verfallen. Heute lebt sie von einer kleinen Mindestrente und muss sich schon gut überlegen, ob sie sich einen Kaffee in der Cafeteria leisten kann. Die verbliebenen Angehörigen besuchten sie zum letzten Mal, als sie ihren Schmuck abholten....  Es gab viele Momente, die mich tief berührten und nachdenklich machten.

Ich besuchte die Dame noch einige Male. Wir fotografierten die Bilder für das Projekt und ich machte für Sie auch noch Portraitbilder, die ich ihr bei einem weiteren Besuch vorbeibrachte.

Zur technischen Umsetzung: Das Zimmer der Dame war wie geschaffen für das Bild. Wir trapierten ihre Familienbilder auf dem Nachttisch und legten eine offene Medikamentenrolle dazu. Der Rollstuhl suggeriert Alter, Eingeschränktheit, Krankheit - die betenden Hände und der Engel an der Wand dagegen die Hoffnung. Das auf den Boden gefallene Glas soll den Eindruck noch weiter verstärken, dass sie den letzten Schritt selber gegangen ist.
Am Rechner wurden zwei Bilder zusammengefügt. Die liegende und die sitzende Dame. Der Lichtschein, dem sie entgegenschweben möchte, wurde digital in das Bild eingefügt.

1 Kommentar:

  1. Diese Arbeit verdient den allerhöchsten Respekt.
    Als ich das bild gestern sah wußte ich noch nichts damit anzufangen.
    Aber nach Ihrer Beschreibung verstehe ich es jetzt. Danke.

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